Selbstfindung am Monte Grappa


Selbstfindung 
Über mich, das Medikament und die Gruppe. 
Ich stecke in Selbstzweifeln (Heute ist ein Tag mit starken Selbstzweifeln - diesen Satz hätte ich gleichermaßen an den Beginn stellen können. Wobei auch noch völlig offen ist, wie gut die Eingebung war, mein Mitteilungsbedürfnis mit "Selbstfindung" zu betiteln). Es geht um die - gefühlte - rasche Ermüdung nach einer Trainingseinheit am Berg. Auf Asphalt geht es ja noch, so um die zwei Stunden Aufstieg am Stück sind drin. Das war gestern, aber heute kamen zuerst regenklebrige Rampen, dann kam der Aufstieg auf grobsteinigen Militärwegen. 1917 auf der italienischen Südseite in die steilabfallende Bergflanke gebaut, um die allerletzte Chance gegen die weiterrückenden österreichischen Soldaten zu nutzen. Der Monte Grappa verhalf den Italienern nach schier endlosen Niederlagen und Rückzugsmanövern schlussendlich zum Sieg. 
Ist diese Weltkrieg-1-Geschichte vielleicht eine Allegorie? Kann ich etwa davon lernen? So kreist es durch meinen Kopf, seit ich vorhin die ersten Worte zu Sätzen verbunden habe. Was müsste ich tun, um diese Erfahrung für mich nutzbar zu machen. Beharrlichkeit. Weitermachen. Kraft aus Siegeswillen ableiten. Zweifel zulassen aber abarbeiten.
Hab ich Chancen, kann mir das tatsächlich helfen? Ja! Wie war ich vor 15 Jahren, etwa auf den Pregasinatouren: Genau - nach exakt zwei Stunden war ich komplett leer, musste mich zu einem Kurzschlaf ausstrecken. Also an sich nichts Neues, nichts Beunruhigendes. 

Betablocker, das Medikament
Ich weiß nicht, warum Sportler beim Kennenlernen immer fragen 'Mußt Du Betablocker nehmen?'. Bis Sommer 2016 antwortete ich stets mit 'Nein'. Mittlerweile habe ich sechs Monate mit 1,25mg Bisoprolol gelebt. Seit Ende März 2017 trainiere ich erneut zielstrebig, nach dem Finale-Ligure-Trainingslager habe ich das Bisoprolol am Montag, 17.04.2017, abgesetzt. Mein Hausarzt und Internist hatte mir die Fortsetzung empfohlen, aber es klang sehr formaljuristisch und überzeugte mich nicht. 
Die letzten drei Wochen haben mich gelehrt, wie unerwartet stark das Medikament in meinem Körper Regie geführt hatte. 15 Pulsschläge niedrigeres Herzfrequenzmaximum, das heißt für einen Sportler eine drastisch geringere Drehzahlbandbreite. Zwar konnte ich auch mit 115er Puls hinter dem 16-jährigem Timon die Finale-Rampen hinauftreten. Aber mein Körpergefühl war nicht stimmig und - noch bedeutsamer - die Trainingssteuerung mittels Pulsmessung war außer Funktion. 
Und damit sind wir am Kernthema dieses Artikels. Es ist eine Beschwerde gegen die Kardiologen, die mich nicht aufgeklärt haben über das, was sie mit der Medikamentation tun. Sie haben (wissentlich oder in ihrer Ahnungslosigkeit) ausgeblendet, dass das sportphysiologische Reiz-Reaktionsmuster von guter Trainingssteuerung mit der Gabe von Betablocker schlicht verhindert wird. Meine Sorge ist also, dass ich nun konkret unter dieser Frechheit (Nichtinformation) zu leiden habe und mit erheblich zu geringer Fitness in die sechsstündigen Geröllaufstiege im Hohen Atlas gehe.

Die Gruppe
Es ist vielleicht nur mein Kopf (oder mein ängstliches Herz), was mich das Zusammentreffen mit den anderen Tourteilnehmern in Marrokko fürchten läßt. Stark! Schweizer! Jung! So erzähle ich es viel zu oft. Selbst wenn es so ist - dieses Bild zeigt nur die eine Hälfte.
Alle Erfahrung, speziell mit drei 2-/ 3- und 6-tägigen Events mit Luki's Schweizern im vergangenen Jahr, zeigt immer eine deutliche Leistungsspreizung in der jeweiligen Gruppe. Dabei ist es anders als ich mir ängstlich einbilde, ich falle nicht aus dem Rahmen.
Und das Bild der Einbettung in die Gruppe muss ergänzt werden. Das Gruppenerlebnis ist selbst ein toller Motor, ein Antrieb zu stetiger, zu lustvoller und zu nicht enden wollender Bergfahrerei. 
In der Gruppe passiert es automatisch, dass die 120te Minute keine Schranke mehr darstellt. Alles geschieht wie selbstverständlich. Und Luki führt so gut, dass eine Pause stattfindet weit bevor ich darauf warte. Wahrscheinlich setzt die Einbindung in die Gruppe mentale Effekte in ihr frei, die mir bei Alleinfahrt nicht sosehr zur Verfügung stehen.

Wie sieht das Ganze im HF-Diagramm aus?

Die vier Diagramme zeigen die dämpfende Wirkung des Betablockers.

Das wollte ich nicht nur als Gefühl feststellen, sondern auch optisch nachvollziehen. 

Mit Betablocker werkelt mein Herz selbst bei richtiger Bergaufbelastung etwa mit 115er Puls, auch unter größter Spitzenbelastung wird 132 nicht überschritten (Foto rechts oben).

Ohne Betablocker pulsiert mein Herz unter den Anstrengungen deftiger Rampen zwischen 110 und 130, das ist auch subjektiv mein Wohlfühlbereich. Falls die Rampen fies steil und lang werden, steht mir für solche Fälle noch eine Reserve von gut 20 Schlägen zur Verfügung. Das Maximum war mit 153 noch nicht ganz ausgereizt.

Mein Fazit

Ohne Betablocker fühle ich mich wohler als mit. Die Rückmeldungen und Vorgaben des 2peak-Trainingsplaners stimmen wieder mit meinem Körperempfinden überein. 

Bild 1

August 2016, aus der Zeit noch ohne Betablocker
Bild 2
Anfang April 2017, die große Hafner-Tour, der Betablocker dämpft um 15 Schläge auf ein Maximum von 138
***
Bild 3 + 4 -> wieder ohne Betablocker
Samstag 6.5.17 Contra Mt Grappa
Sonntag 7.5.17 Militärsteige am Mt Grappa

Fotomaterial

Meine Fotos zeigen die schwierigeren Passagen nicht wieder. Das liegt daran, dass ich während des wirklich anstrengenden Kurbelns oder Herabschlitterns keine Lust habe abzusteigen um solche Effekte optisch einzufangen. 

Antreten gegen die Schwerkraft

Militärsteige am Monte Grappa, So 7.5.17

Leicht geschwungen zieht sich vor mir die Asphaltstraße nach oben. Nein! So einfach war mal (im Winter beim Trainingsstart, wenn der Schnee die Waldwege unfahrbar macht).
Hoppla, nach der holprigen Schussstrecke kündigt die Stimme der NaviApp diesen scharfen Rechtshaken an. Und sofort bäumt sich der regendurchnässte Karrenweg vor dem Vorderreifen auf. Sieht nicht schlimm aus. Über uns der blickdichte Baldachin aus feuchtem Laubgeäst und nebligem Dunst. Unter den Reifen weicher erdiger Grund, braunschwarzfarbenes Erdekieselgemisch. Die dunkleren Stellen kleben morastig und verdoppeln die Tretlast. An den steileren Stücken ist der Karrenweg von Bremsspuren der Enduromaschinen gezeichnet. Noch zwei Meter bis zu einer steileren erodierten Passage, der schmale Kiesstreifen links am Rand bietet den leichtesten Aufstieg, volle Last auf die Pedale und mit gebeugtem Oberkörper eine Gewichtsverlagerung auf das Vorderrad. Bei trockenem Wetter wäre das stete Auf und Noch-mehr-Auf schon ziemlich anstrengend. Heute zerrt die Klebkraft des batzigen Geläufs noch zusätzlich und teils heftig an den Reserven. Und vom Einstieg in den Militärweg bin ich noch viele Kilometer entfernt.
Vor der Kirche Madonna del Covolo parkt fotogen eine historische mittelgrau lackierte Mercedes Limousine, mit zwei weißen Papiergirlanden geschmückt. Einem profanen Peugeot entsteigen ein paar Menschen, sie entfalten sich zu perfekt kostümierten Nonnen, die Ihre Edeltracht sichtbar bewußt zur Kirche tragen. Mein Track führt mich im Rechtsbogen drumherum und zur endgültig steilen Rampe bis zum baldigen Beginn des alpinen Militärweges, der im Schutz der Südflanke zum Monte Grappa hinaufführt.
Jetzt aber die feuchte Windweste endgültig im Rucksack verstauen! "Es geht los!" denke ich, da überholt ein Hardtail-Biker, auffällig wegen seiner zwei Trinkflaschen. Sofort auf den Sattel, ich behalte ihn im Auge. Er ist nicht zu schnell, ich kann mithalten, manchmal den Abstand verringern. Ich höre seine hektischen Schaltmanöver, bleibe selber meist im gleichen Gang (hier zeigt sich das Training der letzten Wochen: meine Muskeln sind härter geworden, vertragen wesentlich mehr Krafteinsatz). Manchmal verlangt die Steilheit den ersten Gang, oder eine Abfolge ekliger Steinbrocken. Meist aber geht noch der zweite oder auch dritte Gang (auch das empfinde ich als weniger anstrengend, registriere es zufrieden als Resultat des Trainingsaufbaus). Mittlerweile fahre ich schon eine Weile direkt hinter dem Hardtailer, folge meist seine Pfadspur. Manchmal jedoch bleibe ich auf einer Seite des Weges und nehme auch eine Abfolge von felsigen Kanten unter die Stollen. Die ausgezeichnete Federung des 2016er Stumpjumpers macht es sehr leicht, im uphill kleine Stufen ohne Kraftverlust zu befahren. Übrigens, komoot beschriftet ja seit ein paar Monaten immer mehr Wege mit der üblichen Schwierigkeitsskala. http://www.singletrail-skala.de/ Also, der Miliärweg ist mit S1 beschriftet und wir fahren bergauf! Nun ja, darauf habe ich keinen Einfluss, an einer etwas rauen Stelle bleibt der Vordermann stecken, ich ziehe rechts vorbei, ein bißchen erinnert es mich an frühe Zuschreibungen, ich sei eine Berggams. Dann geht es noch gefühlt sehr lange in den vielen Kehren nach oben, manchmal kommen Wanderer entgegen. Ansonsten ist es neblig, kühl, steinig, langweilig. Und dann überdenke ich den weiteren Tourverlauf und sehe auf der komoot Karte, dass der spätere Downhill über wesentlich steilere S2-Pfade bergab führen würde. (Meine Reifen sind abgefahren, auf feuchtem Grund rutscht der Gummi manchmal weg, das sind schlechte Bedingungen für einen Allein-Downhill in unbekanntem Gelände. Während des Schreibens stelle ich nachträglich fest, dass ich als Track die schärfere Variante des "Frontsteige" geladen hatte, mit dem S2-Downhill. Andi hatte mir eine entschärfte Variante mit S1 gegeben, die werde ich auch nochmal anpacken, vielleicht morgen am 9.5.17). Mit diesen Gedanken beladen wird mein Impuls schwächer, das Rifugio am Monte Grappa heute zu erreichen. Nach etwa einer Stunde wechsele ich mein nasses Bikehemd gegen trockene Abfahrtskleidung und rolle bis zuerst Abzweigung in einen geeigneten Waldweg hinab.
Wie zuvor auf dem Hinweg zieht auch dieser Waldweg immer wieder in fies steilen Rampen über Felsgrate. Jedesmal überlege ich kurz abzusteigen, jedesmal überwiegt der Kampfeswille. Und ich bleibe im Sattel! Wieder eine eher mentale Belastung: "Will das mit den Rampen denn garnicht aufhören!?" Die Muskeln machen im Prinzip noch ausreichend willig mit, mein Körper schwitzt, so wie früher üblich (unter dem Regime des Betablockers war deutliches Schwitzen verschwunden, nun bin ich froh drum und denke an Rudl, den 91-Jährigen, der einmal täglich Schwitzen als Garant fürs Gesundbleiben hält). 
Diese Tour verabschiedet sich mit einem langen langen Abstieg über einen frisch vom Bagger geshapten weichsandigen Untergrund mit alle 30 Meter rhythmisch aufgeworfenen Bodenwellen für die Regenwasserableitung. Sehr spannend, hier vorsichtig durchzufahren, schließlich will ich keine Bauchlandung im Sandhügel riskieren. 
Das Spektakel des 7.5. endet im MOTO Ristorante an der Galleria benannten höchsten Stelle der öffentlich befahrbaren Stichstraße "Via San Liberale". Es gibt noch anderes als Mountainbiken! Ein Dutzend Moto-Enthusiasten starren hypnotisiert auf den TV-Widescreen mit dem dortigen GP-Bigbike-Wettbewerb.

Gelernt: Weniger hoch macht mehr Flow

Ich gebe zu, es ist aus der Not geboren. Meine Batterie füllt sich viel langsamer auf, daher starte ich die Tour am Dienstag mit knapp 30% Batterie. Daher ist es gut und richtig, die Bergstraße zu nutzen und den Trail im Abstieg zu genießen.

Auf diese Tour freue ich mich
Habe heute den Track der 7-Stunden-Tour namens "grappissimi" so umgebogen und gekürzt, bis diese 620 Höhenmeter Tour draus wurde. Eine Stunde mit Volldampf hinauf und eine genüßliche Downhillstunde zurück, das sollte gut gelingen. Da bin ich auch der Vorgabe von Train2PEAK näher, die eine Stunde mit einem 20' Intervall mit 139, also volle Belastung, errechnet hat.

Komoot zeigt die Tour im Überblick, nicht gezoomt


Ein paar Momentaufnahmen aus vier Tagen in Bassano del Grappa (6.-9.5.17)


Zur Nachlese: Die Neureuth

Heute, am 11.05.2017, bin ich die Neureuth gefahren. Emanuel hatte mir stolz davon erzählt, als er diese Rampe geschafft hatte: "Da war ich gut im Training".

500 Hm sehr steile Versorgungsstraße zum Berggasthof Neureuth oberhalb Tegernsee. Fast hätte ich es ohne Pause geschafft, aber 100 Meter vor der Kuppe auf einem besonders steilen und betonierten Stück, habe ich den Blick vom Vorderrad weg nach oben auf den Wegeverlauf gerichtet, das ist ein Taktikfehler, sofort stürzt der Gedanke ins Bewußtsein "das geht nicht" und im selben Augenblick ist die Kraft weg.

Am 11.05.2017 Die Neureuth saugt alle Reserven auf. Die Batterie wird innerhalb einer Stunde von 37 auf 4% verbraucht. 

 

Die Regenerationsleistung ist generell gering, die Kurve steigt nur langsam wieder an.

Die tatsächliche Intensität dieser Trainingseinheit am 11.05.2017 ist genau doppelt so hoch wie die Empfehlung meines Trainingsprogramms.

 

Ich stapaziere meinen Körper sehr stark.

Mit dem Trainingmeter bin ich endlich ziemlich zufrieden.

 

Einzig die Resistenz gegen Ermüdung müßte noch von 56 auf 100% verdoppelt werden, mit Trainings exakt nach Plan.

 

Diese Analyse zeigt: Jetzt nur noch Regeneration und regeneratives (leichtestes) Training.


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